Der neue Cheftrainer soll den Fußball-Regionalligisten FC Memmingen vor dem Abstieg bewahren. Welche Rolle eine kubanische Zigarre für den 40-Jährigen auch dabei spielt, berichtet die ALLGÄUER ZEITUNG:
Der FC Sevilla und der FC Memmingen haben zwei Dinge gemeinsam. Die Andalusier spielen in der spanischen La Liga ebenso um den Klassenerhalt wie der FCM in der Regionalliga Bayern. Und beide Vereine haben bereits zum zweiten Mal in dieser Spielzeit ihren Trainer gewechselt. Während der siebenmalige Europa-League-Sieger auf den erfahrenen Quique Sanchez Flores setzt, vertraut der FC Memmingen bei der Mission Klassenerhalt mit Matthias Günes (im Bild) auf einen Coach, für den die Regionalliga Neuland ist.
Der 40-jährige Füssener ist sich dessen bewusst, aber weder dieser Punkt noch die Schwierigkeitsstufe der Rettungsmission schreckt ihn ab. „Ich bringe maximalen Ehrgeiz mit“, sagt Günes, der seit Sommer die U19 des FC Memmingen trainiert hatte. Mit der Nachwuchsmannschaft stand er zur Winterpause auf dem dritten Platz in der U19-Bayernliga, als ihn vor Weihnachten der Anruf vom FCM-Vorsitzenden Armin Buchmann erreichte – mit der Frage, ob er sich die Nachfolge von Bernd Maier vorstellen könne.
Günes erbat sich etwas Bedenkzeit. „Ich habe zuerst mit meiner Frau darüber gesprochen. Die Familie steht immer an erster Stelle“, sagt Günes, der vor 20 Jahren als Trainer im Nachwuchs des FC Füssen anfing und von November 2019 bis Oktober Trainer beim Bayernligisten TSV Kottern war. „Am Ende war der Reiz der Aufgabe ausschlaggebend und ich habe große Lust verspürt. Als A-Lizenz-Trainer ist die Regionalliga oder die U19-Bundesliga das Maximum – deswegen war es immer ein Ziel, auf diesem Level zu arbeiten.“
Was den zeitlichen Aufwand und die Fahrtstrecken angeht, sei der Trainerjob bei der U19 mit dem des Regionalliga-Teams vergleichbar. Auf der anderen Seite lastet ein ungleich größerer Druck auf der ranghöchsten Allgäuer Fußball-Mannschaft. „Die jüngere Vergangenheit spielt für mich keine Rolle und meine Vorgänger Stephan Baierl und Bernd Maier nehme ich komplett in Schutz“, sagt Günes, der als Prokurist in einem Hotel in Hohenschwangau arbeitet. „Es gibt einfach Entwicklungen, in denen man als Trainer nicht mehr einwirken kann.“
Mit den Auswirkungen der jüngeren FCM-Vergangenheit wird Günes aber umgehen müssen. Es gibt vor allem einige Zahlen, welche die prekäre Lage des Fußball-Regionalligisten verdeutlichen. Der FCM steht auf dem vorletzten Platz 17, hat zusammen mit Schlusslicht Buchbach die meisten Niederlagen kassiert (16), ist die schlechteste Heimmannschaft der Liga und muss im Schnitt 2,59 Gegentreffer pro Spiel hinnehmen. Der Rückstand auf Relegationsplatz 16 beträgt fünf Punkte. Dort steht Eintracht Bamberg, das zudem ein Spiel weniger absolviert hat.
Es gibt also jede Menge zu tun für Günes und seine Mannschaft, ehe das erste Pflichtspiel am 2. März 2024 beim Tabellenfünften 1. FC Schweinfurt ansteht. „Wir haben zwei Monate, um positive Impulse zu wecken und eine neue Körpersprache zu entwickeln“, sagt Günes. Offizieller Vorbereitungsbeginn ist am 21. Januar, der 40-jährige Trainer will mit einem Kader von 27 Spielern in die Frühjahrsvorbereitung gehen.
Neben Neuzugang Lukas Rietzler (Günes: „Er ist ein Spieler, den ich schon während meiner Zeit beim TSV Kottern unbedingt in der Mannschaft haben wollte“) bekommen auch die A-Jugendspieler Simon Ammann, David Günes, Timo Schmidt sowie Luka Arslan, Simon Neubrand und Luca Deufel aus der U21 die Chance, sich zu zeigen.
Bei allen Spielern, die in der Vorbereitung dabei sind, ist für Günes der Faktor Identifikation entscheidend. „Wir brauchen Emotionen. Am Ende müssen Jungs auf dem Platz stehen, die sich für die Sache zerreißen. Und in der Vorbereitung will ich sehen, wer dazu bereit ist“, sagt der neue Cheftrainer. Daneben nennt er „Körperlichkeit, defensive Stabilität und das Vermitteln einer klaren Spielidee“ als Eckpunkte seiner Arbeit in den kommenden Wochen. „57 Gegentore in 22 Spielen sind indiskutabel. Aber es gibt noch 36 Punkte zu holen“, sagt Günes. „Es geht nur um den Klassenerhalt. Den anderen Mannschaften muss es richtig weh tun, wenn sie einen dieser Punkte holen wollen.“
Baierl, Maier und nun Günes: Man könnte sagen, der FCM zieht auf der Trainerposition seinen letzten Joker. Mit dem Punkteschnitt seiner Vorgänger (Baierl: 0,5 Punkte pro Spiel; Maier: 0,75) dürfte es schwierig werden mit dem Ziel Klassenerhalt. Auch die mehrwöchige Vorbereitung bietet kaum genug Zeit für tiefschürfende Maßnahmen. „Am wichtigsten ist, die mentale Last von den Schultern zu bekommen. Daneben wird es keine Findungsphase, kein Taktieren geben“, sagt Günes.
Der Option des Scheiterns schenkt der neue FCM-Trainer bewusst keine Aufmerksamkeit. „Ich habe den größten Bock, am 18. Mai – oder nach der Relegation – den Klassenerhalt zu feiern. Da kommt dann eine kubanische Zigarre zum Einsatz“, sagt Günes. „In meinen 36 Jahren als Fußballer gab es vier, fünf unvergessliche Feiern – dieses Gefühl will ich wieder erleben. Das ist für mich der ultimative Ansporn.“
Von Tobias Giegerich – Allgäuer Zeitung vom 05.01.2024 – Foto (C) privat